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Redaktion: Heinz Schmitz


Auf der Suche nach Harmonien

Große Musikwerke wie Wagner-Opern oder Klaviersonaten von Beethoven weisen sehr komplexe Strukturen auf. Auch wenn sich Musikwissenschaftler schon lange damit befassen, haben sie längst nicht alle Querbezüge aufgespürt. Rainer Kleinertz, Professor für Musikwissenschaft an der Universität des Saarlandes, nutzt jetzt Methoden der Informatik, um die verborgenen Strukturen besser sichtbar zu machen. Gemeinsam mit Informatik-Professor Meinard Müller von der Universität Erlangen arbeitet Kleinertz an der digitalen Analyse und Interpretation von Harmonien in Werken Beethovens und Wagners.

 

„In dem Forschungsprojekt wollen wir gemeinsam ausloten, wie die Informatik der Musikwissenschaft dabei helfen kann, musikalisch relevante Strukturen zu erkennen. Wir wollen herausfinden, welche Aufgaben der Computer übernehmen kann und ob man etwa durch eine Visualisierung der Harmonien Zusammenhänge entdeckt, die man mit den traditionellen Methoden der Musikwissenschaft bisher nicht erkannt hat“, nennt Musikwissenschaftler Rainer Kleinertz als Ziel. Da von vielen großen Orchesterwerken noch keine digitalen Notensätze vorliegen, werden die Forscher vor allem Audioaufnahmen auswerten. Sie wollen sich dafür zunächst den umfassenden „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner sowie die Klaviersonaten Ludwig van Beethovens vornehmen.

 

Meinard Müller, der sich an der Saar-Uni bereits mit ähnlichen Themen beschäftigt hatte, wird dabei Methoden der Signalverarbeitung einsetzen. „Die Informationen aus den Audiodaten sind vielfältiger als Noten. Wir werden mit dem Computer automatisiert den Wechsel der Harmonien erfassen und graphisch aufbereiten. Die Musikwissenschaftler können diese dann genauer interpretieren und uns Hinweise geben, wo sie auf interessante Stellen stoßen. Dort können wir dann noch mehr in die Tiefe gehen und untersuchen, ob man bestimmte Motive quantifizieren und damit ‚objektiver‘ darstellen kann“, erläutert Meinard Müller das geplante Verfahren. Er stellt sich eine Art Tacho für Harmonien vor, der auf einen Blick deutlich macht, wo der Komponist etwa von A-Dur nach c-moll und weiter zu B-Dur gewechselt hat. Die Ergebnisse ihrer bisherigen Zusammenarbeit haben die Forscher im renommierten Journal of New Music Research veröffentlicht.

 

Für Musikwissenschaftler Kleinertz ist von Interesse, ab wann zum Beispiel die Komplexität in Beethovens Klaviersonaten zunimmt und wann dieser von Konventionen abweicht. „Bei Wagners Opern spielen hingegen Stimmungsumschläge eine zentrale Rolle. Hier wird es spannend sein zu erforschen, ob man über die digitalen Analysen zu neuen Querbezügen kommt, die man bei dem rund 16-stündigen Werk durch reines Hören oder Partiturlesen bisher nicht erkannt hat“, sagt Kleinertz. Diese Grundlagenforschung könnte dazu beitragen, dass man künftig bestimmte Merkmale automatisch erkennen kann, die für einzelne Komponisten oder eine Epoche charakteristisch sind. „Denkbar wäre auch, dass man Werke über die digitale Analyse eindeutiger einem Komponisten zuordnen kann.

 

Ähnlich wie in der Malerei gibt es ja auch in der Musik viele Stücke, bei denen unsicher ist, wer sie tatsächlich komponiert hat“, erläutert Kleinertz. Mit den neuen digitalen Werkzeugen, die in dem Forschungsprojekt entwickelt werden sollen, will der Musikwissenschaftler auch Stücke, die sich bisher einer harmonischen Analyse entzogen, besser interpretieren können. „Wir betreten hier gemeinsam mit den Informatikern musikwissenschaftliches Neuland, das sicherlich beide Seiten zu neuen Fragestellungen inspirieren wird“, sagt Kleinertz.

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