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Redaktion: Heinz Schmitz


Vorsicht vor der Datenkrake

Datenkrake
Viele Facebook-Nutzer reagieren eher zurückhaltend, sobald Banken auf ihre persönliche Daten zugreifen wollen, um die Kreditwürdigkeit zu analysieren. (Grafik: TU Chemnitz/Jacob Müller)

Wie reagieren Facebook-Nutzer, wenn Banken für Zwecke der Kreditvergabe ihr privates Profil durchsuchen? Dieser Frage widmete sich 2016 eine Studie an der Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre der Technischen Universität Chemnitz, die gemeinsam mit Studierenden des Masterstudienganges Finance durchgeführt wurde. Prof. Dr. Friedrich Thießen berichtet, „dass es Big Data heute bereits möglich macht, ungeheure Mengen persönlicher Daten gezielt nach Aspekten der Kreditwürdigkeit zu analysieren“. Facebook arbeite selbst daran. Aber auch Start-up-Unternehmen wie Kreditech oder Big Data Scoring verfolgen laut Annemarie Kühn vom studentischen Forscherteam ähnliche Ziele. „Der Trend zur Auswertung aller nur möglichen Datenbestände für kommerzielle Zwecke ist ganz generell eine nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung“, ergänzt Studentin Marianne Nake.

 

Die Chemnitzer Finanzexperten gingen in ihrer Studie zwei zentralen Forschungsfragen nach: Als erstes wurde gefragt, wie Menschen ein Social- Media-Daten-gestütztes Kreditgeschäft grundsätzlich einschätzen und was sie davon halten, wenn ihre Bank auf ihren Facebook-Seiten nach Daten sucht. Als zweites wurde untersucht, ob Menschen die Durchforstung ihrer Social-Media-Daten durch ihre Bank passiv hinnehmen oder ihrerseits anfangen würden, Daten so zu manipulieren, dass die Bank einen vorteilhafteren Eindruck bekommt. An der Studie nahmen 271 internetaffine Personen teil, die bereits Online- und Mobile-Banking betreiben und Facebook nutzen. Deren Durchschnittsalter liegt bei 26 Jahren mit einer Streuung von 18 bis 64. Die Probanden wurden bei der Befragung mit einer Situation konfrontiert, bei der sie in einem Geschäft Dank des Zugriffs einer Bank auf ihr Facebook-Profil ein gewünschtes teures Gerät auf dem Kreditwege mithilfe ihres Handys innerhalb von wenigen Minuten ohne Probleme erhielten. Danach wurde ihnen in einer weiteren Situation verdeutlicht, wie diese Kreditvergabe funktionierte, dass nämlich eine Auswertung des eigenen Facebook-Profils erfolgte und dafür private Daten von sich und Freunden verwendet wurden. Die Probanden wurden gebeten, diese Situationen zu bewerten. Schließlich wurden sie nach den Konsequenzen für ihr künftiges Verhalten gefragt.

 

Zu den Ergebnissen: Ein Großteil der Befragten versteht, dass man mit Big Data-Analysen den Kreditprozess unterstützen kann und erkennt Vorteile der Kreditvergabe mittels Facebook-Daten: 44 Prozent können sich bessere Kreditkonditionen vorstellen. 46 Prozent erwarten größere Schnelligkeit und 51 Prozent mehr Bequemlichkeit. 31 Prozent können sich auch vorstellen, überhaupt erst dadurch kreditwürdig zu werden. 45 Prozent befürchten dagegen schlechtere Bedingungen für sich selbst. Nachdem den Probanden erklärt wurde, wie die Bank zu ihrer schnellen Kreditbeurteilung kommt, nämlich dadurch, dass sie persönliche Daten aus Facebook-Profilen auswertet, beginnen sich die Meinungen stärker zu spalten: Nur noch 23 Prozent der Befragten finden das Angebot interessant. Abgelehnt wird es, wenn sich Daten aus Sozialen Netzwerken negativ für eine Person auswirken.

 

Wenn man schon sein Facebook-Profil einer Bank öffnet, dann will man einen Vorteil davon haben, keinen Nachteil. Etwas anderes wird als unfair empfunden. 64 Prozent lehnen es ab, persönliche Daten, die auch Facebook- Freunde sehen können, einer Bank freizugeben. „Vorreiterbanken müssen deshalb insbesondere in der Implementierungsphase neuer Analysetechniken mit heftigem Widerstand rechnen“, meint Thießen.

 

„Zurzeit wird das kommerzielle Schnüffeln in privaten Daten eher als unethisch und unfair empfunden. Dennoch ist vielen klar, dass es im Lauf der Zeit nicht nur die Banken sein werden, die auf Facebook-Daten zurückgreifen. Je mehr kommerzielle Nutzungen an Facebook anschließen, desto vorteilhafter wird es werden, seine Facebook-Seiten strategisch zu gestalten – also zu manipulieren“, schätzt Student Georg Gliem ein. So würden dafür 58 Prozent der Probanden ihre Posts, ihre geteilten Inhalte und ihre Likes besser durchdenken. Etwa ein Drittel würde Freunde löschen oder mehr auf die Rechtschreibung achten. 40 Prozent würden Freundschaftsanfragen weniger leichtfertig stellen. 39 Prozent würden gezielt bestimmte Fotos löschen. 30 Prozent würden bestimmte Seiten mit Karriere- und Bildungsinhalten häufiger liken. „Damit zeigt sich eine deutliche Bereitschaft bei einem Teil der Facebook-Nutzer, Facebook- Inhalte zu manipulieren“, sagt Markus Neuber von der Forschergruppe.

 

Allerdings gebe es auch gegenteilige Ansichten: „Freunde auf Facebook zu löschen, lehnen 52 Prozent ab. Gezielt und strategisch bestimmten Personen Freundschaftsanfragen zu stellen, welche einen guten Leumund haben und bei einer Kreditanalyse Pluspunkte bringen müssten, lehnen 71 Prozent ab.

 

Gezielt Fotos zu löschen und Verlinkungen auf Fotos strategisch anzupassen, lehnen 44 Prozent ab. Markierungen genauer zu überprüfen, können sich 34 Prozent nicht vorstellen“, so Student Daniel Wulf. „Das bedeutet zusammenfassend: die Mehrheit schreckt vor Manipulationen ihrer Facebook-Seiten noch zurück, aber ein bedeutender Teil, der im Bereich von 30 bis 40 Prozent der Probanden liegt, würde solche Maßnahmen durchführen“, berichtet Thießen.

 

Nachdem den Probanden anhand von Beispielen gezeigt wurde, wie eine Bank durch Big Data-Analysen Rückschlüsse auf die soziale Situation, die intellektuellen Fähigkeiten und auf das Bewegungsprofil von Personen ziehen kann, nahm die Bereitschaft zum Schönen des Facebook-Profils deutlich zu. Die Zustimmung zur Aussage „gezielt bestimmten Personen Freundschaftsanfragen stellen“, steigt um 35 Prozent-Punkte, die Zustimmung zur Aussage, mehr auf die eigene Rechtschreibung zu achten, um 28 Prozent-Punkte. „Auch bei allen anderen abgefragten Kriterien veränderten sich die Werte um 10 bis 20 Prozent – dazu zählen beispielsweise die Bereitschaft zur Verlinkung und zum Löschen von Fotos, das Liken von für die Kreditvergabe förderlichen Seiten oder der Ansporn, Information zum eigenen Standort bereitwillig weiterzugeben,“, berichtet Thießen. Alle Aussagen zusammen belegen aus Sicht der Chemnitzer Forscher, in welch hohem Maße Menschen bereit seien, Facebook weniger als Teil der Persönlichkeit zu betrachten, sondern als ein Instrument, das man nach Nützlichkeitserwägungen handhabt.

 

„Wenn in so wenigen Jahren ein zuerst sozial auftretendes Instrument zu einer kommerziellen Veranstaltung wird, dann lässt das Rückschlüsse auf tieferliegende Motivationen in unserer Gesellschaft zu und enttäuscht die Menschen. Die Netzwerkbetreiber, die ursprünglich die Idee verfolgten, Freunde zusammenzubringen, konnten es sich nicht verkneifen, der Gier nachzugeben und die kommerziellen Aspekte auszubauen. Die Facebook-Nutzer antworten, wie unsere Untersuchung zeigt, mit der Bereitschaft zur verfälschten Darstellung ihrer Persönlichkeit, um ihrerseits größtmögliche – kommerzielle – Vorteile zu erlangen“, so Kühn. Der Frage, ob Nutzer ihre Eintragungen in die Sozialen Netze mehr der Freundschaftspflege oder mehr den Konsequenzen widmen sollen, kann sich aus Sicht von Thießen keiner entziehen: „Wer Freundschaftskontakte über alles stellt, muss mit den Konsequenzen leben und sich eventuell von Datenanalysen wie der Beurteilung der Kreditwürdigkeit abschotten, was aber mit zunehmender Verbreitung von Big Data-Techniken immer schwerer werden wird.“

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