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Redaktion: Heinz Schmitz


Wie Computer unser Wohnen veränderten

IKEA Katalog 1998

In einem IKEA-Katalog aus dem Jahr 1998 wird die Arbeitsecke mit PC als Teil der Wohnumgebung präsentiert. (Quelle: Inter IKEA Systems B.V., Katalog 1998, https://ikeamuseum.com/de/unsere-kataloge)

 

Immer wieder erobern neue Medien unsere Welt. Sie verändern unser Leben – im Berufsalltag wie im Privaten. Als Computer ihren weltweiten Siegeszug antraten, hatte das auch Folgen für unser Wohnen. In einem neuen Forschungsprojekt gehen Wissenschaftler am Institut für Medienwissenschaften der Universität Paderborn dem auf den Grund. Das Projekt „Einrichtungen des Computers. Zum Zusammenhang von Wohnen und Computer“ startete im Oktober, ist auf drei Jahre ausgelegt.

 

Unter welchen historischen Bedingungen und mit welchen Auswirkungen wurde der Computer zum Bestandteil unseres Wohnalltags? Welche Vorstellungen des Häuslichen und entsprechender Wohnformen waren dabei über die Jahrzehnte prägend? Die Projektleiterinnen Prof. Dr. Christina Bartz und Dr. Monique Miggelbrink und ihr Team – der Post-Doc-Mitarbeiter Dr. Felix Hüttemann und die studentische Hilfskraft Rebecca Corrent – suchen nach Antworten.

Dafür werten die Forschenden Zeitschriften und Kataloge zu den Themen Wohnen und Computer aus den 1960er bis 1990er Jahren aus. „Diese Zeitschriften und Kataloge wurden bisher nicht unter dem Aspekt der Computergeschichte untersucht und systematisiert. Wir wollen beleuchten, wie sich Medienkultur daheim im Privaten – im Wohnumfeld von Computernutzerinnen und -nutzern – gestaltet“, erklärt Monique Miggelbrink.

 

IKEA-Kataloge eine große Fundgrube

Besonders aufschlussreich für die Medienwissenschaftler sind IKEA-

Kataloge: „Kataloge von IKEA haben eine große Reichweite und sind daher beim Betrachten von Wohnkultur sehr interessant. Darüber hinaus präsentieren diese Kataloge und die anderen Einrichtungszeitschriften ganze Wohnmilieus, zeigen den Computer also nicht als Einzelgerät, sondern eingebunden in eine Wohnungseinrichtung“, erzählt Christina Bartz. Laut der Forscherin seien die Kataloge des schwedischen Einrichtungskonzerns außerdem spannend, weil sie auf bestehende Wohnprobleme reagierten und eine interkulturell vergleichende Perspektive böten: „IKEA wirbt regelmäßig damit, Einrichtungslösungen anzubieten. Das deutet auf Wohnprobleme und auf die Vorstellung von störungsfreiem Wohnen hin. Ein Vergleich der schwedischen und deutschen Katalog-Ausgaben wiederum zeigte uns bereits, dass es länderspezifische Unterschiede bei der Kataloggestaltung und der abgebildeten Einrichtungen gibt.“

 

Die Arbeitsecke hält Einzug

In den 1950er und 1960er Jahren waren Computer noch große, raumfüllende technische Systeme. Ab den 1980ern zogen dann kleinere Geräte, die Personal Computer (PC), in Büros und in erste Privathaushalte ein. „Die Gestaltung des PCs, so eine unserer Arbeitsthesen, war geprägt vom Prozess seiner Verhäuslichung. Steve Jobs etwa ließ sich beim Gestalten des ‚Apple II‘ vom Design einer Küchenmaschine inspirieren“, berichtet Felix Hüttemann. Trotz dieser Versuche, PCs möglichst unauffällig in den Wohnbereich zu integrieren, wurden die im Vergleich zu heute sperrigen Geräte anfangs von manchen als Störung des Alltags und der häuslichen Ordnung betrachtet – unter anderem, weil die Wohnungseinrichtungen keinen Platz für das neue Medium vorsahen. Erste Auswertungen der untersuchten Kataloge und Zeitschriften zeigen, wie darauf reagiert wurde: „In den bereits analysierten Einrichtungskatalogen und -zeitschriften werden neue Arrangements des Wohnens angeboten, vor allem in Form einer eigens eingerichteten Arbeitsecke mit Computerschreibtisch. Die Arbeitsecke wurde schon in Zeitschriften der 1950er und 1960er Jahre etabliert und die Schrankwand zum zentralen Bezugspunkt, da hier verschiedene Medien – erst die Schreibmaschine und das Telefon, dann der PC – aufgebaut werden konnten“, erläutert Monique Miggelbrink.

 

Umverteilung häuslicher Handlungsmacht

Wurden die Großcomputer der 1950er und 1960er Jahre noch von Fachkräften bedient, standen die Personal Computer in Haushalten theoretisch jedem zur Verfügung. Doch war das wirklich so? „Mit dem Aufkommen von Computern im Privaten stellte sich die Frage, wer Zugang zu ihnen haben sollte und wer nicht. Unser Forschungsprojekt ist daher auch als machtanalytische Studie zu verstehen. Mit dem Einzug von PCs in den Wohnbereich, so unsere Annahme, wurde die häusliche Handlungsmacht umverteilt“, erklärt Monique Miggelbrink. Die Projektleiterinnen und ihr Team wollen zeigen, wie stark die Einführung von Haushalts-Computern mit sozialen Ungleichheiten zusammenhing – insbesondere was die Aspekte Geschlecht, Ethnie, Alter, soziale Klasse und Diversität angeht – und wie das digitale Kulturen bis heute prägt.

 

Die rasante Entwicklung der digitalen Welt seit den 1990er Jahren und das durch Corona brandaktuelle Thema Homeoffice berücksichtigt das Projektteam bei seinen Untersuchungen ebenfalls. „Die seit den 1990er Jahren verstärkte Mobilisierung der PCs führte dazu, dass das Arbeiten nicht mehr an die Arbeitsecke oder das Arbeitszimmer gebunden ist, sondern mit dem Laptop theoretisch überall im Wohnbereich stattfinden und auch wieder nach draußen verlagert werden kann – etwa in Cafés oder Co-Working-Spaces. Die Pandemie hat die Aufmerksamkeit erneut verstärkt auf Arbeitsecken und Arbeitszimmer im eigenen Wohnbereich gelenkt“, so Christina Bartz.

 

Weitere Kataloge und Zeitschriften gesucht

Im Sinne des Open Science-Ansatzes werden die Ergebnisse des dreijährigen Forschungsprojekts in einer Datenbank veröffentlicht und die erworbenen IKEA-Kataloge an die Universitätsbibliothek übergeben. So können künftige Forschungsprojekte auf der Materialsammlung des Projekts aufbauen. Für die allgemeine Öffentlichkeit sollen die Projektergebnisse und -materialien in Form einer kleinen Ausstellung im Foyer des Paderborner „Heinz Nixdorf MuseumsForum“, dem weltweit größten Computermuseum, aufbereitet werden.

 

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