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Redaktion: Heinz Schmitz
Autonomes Fahren im Alltag
Zukunftstechnologie in historischem Ambiente: Kronach ist beim autonomen Fahren ganz vorne mit dabei - und die autonomen Shuttles sind auch eine touristische Attraktion. (Quelle: Shuttle Modellregion Oberfranken/Hochschule Coburg)
Neben dem großen Valeo-Industriegebäude befindet sich im oberfränkischen Kronach-Neuses auch ein Gebäude mit einer eigenen Testhalle und -strecke nur fürs Autonome Fahren. Über 100 Expertinnen und Experten arbeiten hier bei einem Weltmarktführer für Sensorik an der nächsten Stufe der revolutionären Technologie. Es wird programmiert, simuliert und getestet. Ein Thinktank für Autonomes Fahren. „Zunächst gibt es nur das Fahrzeug, ein paar Sensoren und Steuerungselemente“, sagt Toni Baric. „Erst durch den Programmiercode entsteht etwas Intelligentes, das selbstständig Entscheidungen treffen kann.“ Der Programmiercode ist wie im Märchen der Feenstaub: Er haucht den Fahrzeugen autonomes Leben ein. Die Experten schauen ihren „Babys“ dann beim Fahren lernen zu.
Seit 2020 gibt es den Master-Studiengang Autonomes Fahren der Hochschule Coburg am Lucas-Cranach-Campus in Kronach. Toni Baric stammt aus Kroatien und arbeitete zunächst für eine Job-Agentur in Thüringen, die Fachkräfte aus seiner Heimat nach Deutschland bringt. Während der Pandemie beschloss er, ein Studium mit Perspektive zu beginnen und sich ein neues Leben in Deutschland aufbauen. Schon nach dem ersten Semester Autonomes Fahren hatte er eine Festanstellung bei Valeo sicher.
Von Russland in den Frankenwald
„Autonomes Fahren ist zukunftsträchtig“, sagt auch Artem Lukin. Während seines Bachelorstudiums in Russland entdeckte er sein Interesse am Programmieren. Über Studieninformationsseiten fand er den Weg nach Kronach und begann hier das Masterstudium. „Da ich nicht nur am PC sitzen möchte, sondern auch tüfteln wollte, war Autonomes Fahren genau das Richtige für mich.“ Aktuell sammelt er als Praktikant bei Valeo Praxiserfahrungen.
Die Funktionen beim Autonomen Fahren sind neuartig und sie sind komplex. In der Regel arbeiten sie nicht auf Anhieb effektiv. Artem Lukin erklärt dies so: „Aufwändige Projekte werden untereinander aufgeteilt und jeder ist für seinen Part verantwortlich. Dann werden die Algorithmen ins Gesamtsystem integriert. Ab da heißt es: viel testen, um Fehler zu erkennen, die dann schrittweise korrigiert werden, bis es klappt.“ Das anfängliche Scheitern sowie die stetige und schnelle Verbesserung sind fester Bestandteil des Entwicklungsprozesses. Diese agile Arbeitsweise lernen die Studierenden bereits im Rahmen ihres Studiums intensiv kennen.
Teamwork und Projektarbeit
Festgefahrene Stundenpläne und Vorlesungen gibt es nicht im Studiengang Autonomes Fahren der Hochschule Coburg. Vielmehr arbeiten die Studierenden an konkreten Projekten, entwickeln ihre eigene Produktlösung, testen diese und entwerfen sogar Vermarktungskonzepte. Die Studierenden bilden ein Projekt-Team und nehmen hierbei unterschiedliche Rollen ein. Durch dieses neuartige Studienkonzept entsteht eine besondere Dynamik. Studierende lernen nicht nur das Fachliche, sondern entwickeln auch ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten – auch dank des aktiven Coachings durch die Dozenten weiter.
Dieses Konzept war für Lea Städtler letztlich entscheidend dafür, in Kronach zu studieren: „Nach meinem Bachelor-Abschluss in Leipzig war mir klar, dass ich nicht weiter monoton auswendig lernen, sondern mein Wissen direkt praktisch anwenden wollte. Hier studieren wir nicht, sondern wir arbeiten an echten Projekten. Wie in der Praxis üblich, mit klaren Aufgabenpaketen und Feedbackrunden, dank derer man sich fachlich und auch persönlich weiterentwickelt.“ Das Studium ist arbeits- und zeitintensiv, dafür hat man schon nach drei Semestern den Master und viele praxisrelevante Erfahrungen in der Tasche.
Wie Nutzer die Technologie erleben
In einem aktuellen Projekt beschäftigen sich die Studierenden mit der Frage, wie automatisierte Bus-Shuttles durch Teleoperatoren gesteuert werden können. Zurzeit müssen Operatoren unter anderem aus rechtlichen Gründen noch im Shuttle mitfahren. Teleoperatoren können von einem Leitstand aus mehrere Shuttles gleichzeitig steuern. In kritischen und für das Fahrzeug unbekannten Situationen können sie einschreiten und das Fahrzeug manuell steuern. Die Herausforderung ist, die Übernahme des Fahrzeugs so einfach und kontrolliert wie möglich zu gestalten. Wichtig sind nicht nur Technik und Kommunikation zwischen Fahrzeug und Leitstand, sondern auch, dass für die Teleoperatoren alle Elemente im Bedienfeld systematisch und übersichtlich angeordnet sind, dass die Sitzposition angenehm ist und der Mensch optisches und haptisches Feedback bekommt: beispielsweise Vibration am Lenkrad, damit das Fahrgefühl möglichst echt ist. Lea Städtler hatte sich gleich beim ersten Projekt für die User Experience interessiert und darauf spezialisiert. „Autonomes Fahren wird die gesamte Mobilität verändern, da spielt das Erlebnis der Nutzer eine ganz besondere Rolle, die ich aktiv mitgestalten möchte.“ Sie schreibt ihre Masterarbeit zum Thema User Experience von Leitständen.
Othmane Megzari hat seinen Abschluss bereits gemacht. Das Jobangebot zur Festanstellung bei Valeo hatte er schon während des Studiums in der Tasche. Er hat sich schon immer für Autos interessiert und wollte unbedingt in diesem Bereich arbeiten. Da er dafür in seiner Heimat Marokko keine Chance sah, kam er nach Deutschland. Manchmal vergisst er bei der Arbeit die Zeit, weil ihm das Programmieren und das direkte Ausprobieren am Fahrzeug so viel Spaß machen. „Zu Beginn sieht man die Fortschritte noch nicht, doch dann, mit jedem Test werden sie erkennbar. Das motiviert dann zusätzlich. Es macht einfach Spaß zu sehen, was man wieder geschafft hat.“
Viele Möglichkeiten
Autonomes Fahren ist abwechslungsreich. Es betrifft nicht nur Autos, Lkw und Shuttle-Busse, es gibt beispielsweise in der Intralogistik auch autonom fahrende und arbeitende Gabelstapler, die Regallager selbstständig befüllen. Die Zukunft bietet viele Möglichkeiten: Transportschiffe, Liefer-Drohnen, alle Maschinen, die sich im Raum bewegen, können autonom gestaltet werden. Zum einen kann damit dem Fachkräftemangel entgegengetreten werden. Zum anderen können Mitarbeitende sich somit auf wichtigere Aufgaben konzentrieren, die Expertise, Kreativität oder Sozialkompetenz benötigen. Die revolutionäre Technologie fasziniert, wird teils aber auch skeptisch beäugt.
Valentin Schäffer ist das gut bekannt. Er kam aus München zum Studium nach Kronach: „Meine Freundin stand dem autonomen Fahren zunächst skeptisch gegenüber.“ Er schätzt den familiären Flair in Kronach, außerdem reizt ihn das Neuartige seines Masterstudiengangs: „In anderen Bereichen wie Fahrzeugtechnik oder Maschinenbau geht es häufig darum: „Wie machen wir das besser, effizienter?" Beim Autonomen Fahren geht es im Gegensatz dazu darum, etwas ganz Neues zu entwickeln.“ Er berichtet vom Shuttle, das in Kronach 18km/h fährt. „Es haut alle paar Meter eine kräftige Bremse rein. Wenn man da drinsitzt, erlebt man: Es fährt gar nicht so langsam, wie man von außen denkt. Man erlebt was Neues.“ Aktuell arbeitet er neben seinem Studium als Werkstudent bei Valeo. Und am Valeo-Family-Day ist seine Freundin zum ersten Mal mit dem Shuttle gefahren. „Danach hat sie andauernd von diesem Erlebnis geschwärmt.“
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