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Redaktion: Heinz Schmitz
Vom Hörgerät zur Gesundheitszentrale am Ohr
Forscher wollen das Hörgerät zur Gesundheitszentrale am Ohr weiterentwickeln, die auf Basis verschiedener Messdaten zum Beispiel vor Stürzen oder Aspiration warnt. (Quelle: Aparelhosauditivos/Pixabay)
Hörgeräte verbessern das Hörvermögen – aber in den kleinen Apparaten steckt viel mehr: Als Gesundheitszentrale am Ohr könnten sie zukünftig vielfältige Aufgaben übernehmen. Forscher wollen sie Hörgeräte mit zusätzlichen Funktionen ausstatten, die rechtzeitig vor einer Sturzgefahr warnen, kognitive Veränderungen erkennen oder den Verlauf einer Parkinson-Erkrankung dokumentieren. Zwölf erfahrenen Wissenschaftler wollen im Graduiertenkolleg HEARAZ (Hearable-zentrierte Assistenz: Vom Sensor zur Teilhabe) der der Universitäten Oldenburg und Bremen w in der ersten Phase die Möglichkeit zur Promotion geben. Dazu kombinieren sie ihre Kompetenzen und Labore: Oldenburg verfügt über langjährige Erfahrungen in der Hörgeräteforschung und die Expertise aus den beteiligten medizinischen Fachdisziplinen Geriatrie, Hals-Nasen-Ohren- Heilkunde und Neurologie. Bremen liefert die Expertise der Biosignal- und Sprachverarbeitung sowie pflegewissenschaftliche Kompetenzen.
„Das Graduiertenkolleg HEARAZ profitiert von der langjährigen exzellenten Hörforschung an der Universität Oldenburg unter anderem im Exzellenzcluster Hearing4all und erweitert diesen Forschungskomplex um eine völlig neue Perspektive. Junge Forschende haben die Chance, in einem sehr spannenden Feld tätig zu werden, dessen Ergebnisse unmittelbar dazu dienen können, Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen“, sagt Prof. Dr. Ralph Bruder, Präsident der Universität Oldenburg.
HEARAZ bringt Forschende unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen, darunter Promovierende aus der Informatik, Physik, Medizin und Pflegewissenschaft, den Neurowissenschaften, Versorgungswissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. „Ziel des Graduiertenkollegs ist es, individualisierte Assistenzfunktionen zu entwickeln, die es insbesondere älteren Menschen ermöglichen, länger und selbstbestimmt am ganz normalen Alltag teilzunehmen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Hein, Hochschullehrer für Automatisierungs- und Messtechnik an der Universität Oldenburg und Sprecher des neuen Graduiertenkollegs.
Im Fokus stehen unterschiedliche Ansätze, Hörgeräte zu sogenannten Hearables weiterzuentwickeln, die Trägerinnen und Träger als Gesundheitsassistenten durch den Alltag begleiten. Das Ohr ist gut geeignet, um dort mittels Sensoren verschiedene Gesundheitsdaten zu erheben. Am Ohr aufgezeichnete Gehirnströme können Auskunft über die Aufmerksamkeit geben. Blutdruck und Puls lassen sich ebenso messen, wie die Bewegungen einer Person. Die Mikrofone eines Hearables können neben Sprechweisen und Körpergeräuschen auch Umgebungsgeräusche registrieren.
Die Wissenschaftler von HEARAZ erforschen unterschiedliche Möglichkeiten, Daten wie diese zueinander in Beziehung zu setzen und – teils mit Künstlicher Intelligenz – so auszuwerten, dass sie einen Mehrwert für Nutzende haben. In einem Teilprojekt geht es beispielsweise darum, die Bewegungen der Kaumuskeln zu erfassen und frühzeitig zu warnen, falls Speichel oder Nahrung in die Luftröhre geraten sind. Eine solche Aspiration bleibt bei älteren Menschen manchmal unbemerkt und kann gesundheitliche Folgen haben. Ein weiteres Beispiel ist die kontinuierliche Messung individueller Gangparameter, Belastungszustände und Umgebungsfaktoren, aus denen sich ein erhöhtes Sturzrisiko voraussagen lässt. Ebenso wollen die Forschenden Sprachmerkmale der Hörgeräte-Tragenden auswerten, denn kognitive Veränderungen, wie sie bei Demenzen auftreten, haben einen Einfluss auf die Sprechweise. Auch Personen mit Parkinson könnten von der Gesundheitszentrale am Ohr profitieren, wenn das Gerät die Symptome der Krankheit rund um die Uhr dokumentiert.
Neben den medizinischen und technischen Faktoren untersucht das Forschungsteam auch die sozialen und ethischen Fragen, die mit einer Gesundheitszentrale am Ohr einhergehen. Ein Beispiel ist die Sprachanalyse, bei der die Privatsphäre der Tragenden sowie von Pflegenden und Angehörigen berücksichtigt werden muss. Insbesondere für diese Fragen ist die enge Einbindung von betroffenen und beteiligten Personen relevant, also etwa Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen. Das Graduiertenkolleg wird deshalb von Anfang an von einem Beirat begleitet, der aus Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten Personengruppen besteht und auch die Forschungsfragen und -ansätze mitgestalten kann.
Beteiligung an einem Informatik-Graduiertenkolleg
Ihre Zusammenarbeit weiten die Universitäten Oldenburg und Bremen außerdem im Rahmen eines ebenfalls jetzt bewilligten Graduiertenkollegs im Bereich der Informatik aus. Beide Universitäten sind beteiligt an dem von der Technischen Universität Hamburg geleiteten Verbund CAUSE (Concepts and Algorithms for – and Usage of – Self-Explaining Digitally Controlled Systems). Der Oldenburger Informatiker Prof. Dr. Martin Fränzle ist Co- Sprecher dieses Graduiertenkollegs. An den drei Standorten werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Beginn ihrer Karriere gemeinsam mit erfahrenen Forschenden daran arbeiten, sogenannte cyber- physische Systeme einfacher verständlich zu machen. Solche Systeme liegen etwa Anwendungen im Stromnetz, dem bargeldlosen Bezahlen oder auch Abläufen im öffentlichen Nahverkehr zugrunde. Die Ergebnisse des Graduiertenkollegs sollen dazu beitragen, komplexe Systeme für Nutzer*innen und Entwickler*innen nachvollziehbarer zu machen. Am Standort Oldenburg liegt der Fokus dabei auf den Bereichen System und Software.