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Redaktion: Heinz Schmitz


Elektroniksysteme für die Netze von morgen

Die Energiewende in Deutschland erfordert mehr als die Umstellung auf regenerative Energien: Um bis 2050 80 Prozent der Versorgung aus erneuerbaren Quellen zu ermöglichen, muss auch das Stromnetz umgestaltet werden. Doch geht es nicht nur um den Ausbau von „Stromautobahnen“ über große Entfernungen, sondern auch darum, die Infrastruktur anzupassen. Früher gab es wenige große, zentrale Kraftwerke, die elektrische Energie bereitstellten und an alle Verbraucher verteilten. Nun treten immer mehr kleine und Kleinsterzeuger auf den Plan und speisen Wind-, Biogas- und Solarenergie ins Netz ein – zu wechselnden Zeiten und in wechselnden Mengen. Damit die Versorgung im Gesamtnetz dennoch stabil und zuverlässig bleibt, sind große technische Veränderungen hin zu einer dezentralen Netzwerkstruktur nötig. Zwei Themen stehen dabei im Vordergrund: Erstens muss die neue Netzstruktur auf allen Ebenen gewährleisten, dass Elektrizität für alle Verbraucher zur Verfügung steht, und zweitens muss die Effizienz der Stromverteilung im Vergleich zu heute steigen, um die vorhandene Energie optimal auszunutzen.

 

„Veränderungen stehen auf mehreren Ebenen an, von den großen europäischen Stromnetzen über die Verteilnetze bis hin zu Industriebetrieben, Häusern und Elektrofahrzeugen“, betont Professor Lothar Frey, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie (IISB). Besonders großes Potenzial gibt es in Haushalten und Büros. „Was wir heute dort machen, ist im Grunde verrückt“, so Frey. „Man hat einen 230-Volt-Netzanschluss und versorgt damit Geräte wie Computer, Drucker, Fernseher, Hifi-Anlage oder Leuchtstofflampen. Fast jedes dieser Geräte hat ein eigenes Netzteil, das aus den 230 Volt Wechselspannung die geräteintern benötigte Gleichspannung erzeugt. Diese Netzteile sind in der Regel möglichst billig und haben einen verhältnismäßig niedrigen Wirkungsgrad, das heißt, sie wandeln einen Teil des Stroms in nutzlose Wärme. Das ist eine gigantische Verschwendung.“ Durch die Versorgung mit Wechselspannung (AC) erzeugt das Netzteil jedes Geräts 40 bis 80 Prozent mehr Verlustleistung als im Fall einer direkten Versorgung mit Gleichspannung (DC). Außerdem werden die Geräte durch die eingebauten Netzteile größer, schwerer und teurer.

 

Sinnvoller wäre es, die 230 Volt der Anschlussleitung im Haus erst einmal für bestimmte Stromkreise und Verbraucherklassen zentral in Gleichspannung, zum Beispiel für 24 oder 380 Volt, umzuwandeln. Zudem sind immer mehr Gebäude mit Solarpaneelen ausgestattet, die sowieso Gleichspannung erzeugen. Im Gegensatz zu heute müsste man diese dann nicht mehr erst in Wechselspannung umwandeln, sondern könnte sie direkt verwenden. Ähnliches gilt für einen möglichen Batteriespeicher im Keller.

 

Man kann mit der Gleichspannungsversorgung in Räumen beginnen, in denen nur kleine Leistungen benötigt werden – etwa im Büro oder im Wohnzimmer – und dort in einen lokalen Stromkreis einen Wandler von AC auf DC einbauen. Forscher des Fraunhofer IISB haben Komponenten entwickelt, die dies technisch ermöglichen: etwa einen Wandler in der Größe eines Kartenspiels, der ein gesamtes Wohnzimmer versorgen kann oder einen DC-Netz-Manager mit einer Leistung von in Summe 120 Kilowatt, der einen ganzen Bürokomplex oder mehrere Einfamilienhäuser versorgen könnte. Der Wandler hat einen Wirkungsgrad von 98,5 Prozent und ist qualitativ weitaus hochwertiger als heute übliche Netzgeräte. „20 Kilowatt für eine Hausverteilung bedeuten in konventioneller Technik einen ganzen Schaltschrank“, erklärt Professor Frey. „Wir brauchen für die gleiche Funktion mit effizienter Leistungselektronik nur noch das Volumen eines Telefonbuchs.“ Neben dem Einsatz in Büros und Wohngebäuden ist die neue Technik auch für Industrie und Handel interessant, denn deren Kühlgeräte, drehzahlgeregelte Motoren und Beleuchtung lassen sich ebenfalls besser, preiswerter und effizienter mit Gleichstrom betreiben.

 

Das Fraunhofer IISB erarbeitet zurzeit in dem bayerischen Projekt SEEDs eine ganzheitliche Lösung für sein eigenes Institutsgebäude, auf Basis bereits heute existierender Technologiebausteine. Dabei werden Leistungsspitzen und Energieverluste abgebaut und sekundäre Energieformen wie Kälte, Wärme und Prozessgase mit in die Versorgung eingebunden. Das ganze Institut wird so zu einer Forschungs- und Demonstrationsplattform für effizientes Energiemanagement mit Vorbildcharakter auch für komplexe Anforderungen, wie sie etwa in Industriebetrieben bestehen.

 

Leistungselektronik ist aber auch essentiell für die nationale und europaweite Energieversorgung. Für große Stromtrassen innerhalb Deutschlands, etwa um Windenergie von den Offshore-Feldern im Norden in den Süden der Republik zu übertragen, bietet die Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ), erhebliche Vorteile. HGÜ-Anlagen bestehen im Wesentlichen aus einer Transportleitung mit Umrichterstationen an beiden Enden. Dort wird die Wechselspannung des konventionellen Stromnetzes zuerst in Gleichspannung und am Ende wieder zurück gewandelt.

 

Der Vorteil: Die Transportverluste sind 30 bis 50 Prozent niedriger als bei Wechselspannung. Man arbeitet heute mit Gleichspannungen bis zu mehreren 100.000 Volt, und je höher die Spannung ist, desto geringer fallen die Transportverluste aus. Die Leitungen können als Freileitungen über Land gehen, als Erdkabel oder als Seekabel verlegt sein.

 

An den beiden Kopfstationen einer Gleichspannungsleitung stehen in einer Halle bis zu mehrere tausend Inverterzellen mit Leistungsschaltern auf Halbleiterbasis. Jede Inverterzelle wiegt rund einen Zentner und speichert eine Energiemenge, die in etwa der Sprengkraft einer Handgranate entspricht. Den Fraunhofer-Forschern ist es gelungen, die Auswirkungen bei einem Schaden in einer Inverterzelle auf die Zelle selbst zu beschränken und sicherzustellen, dass die Gesamtanlage ohne Unterbrechung weiter läuft. Einen weiteren Vorteil dieser Multilevel-Umrichtertechnik verdeutlicht Prof. Martin März, stellvertretender Institutsleiter des IISB und Leiter der Abteilung Energieelektronik: „Die passiven Netzfilter, welche die elektrischen Störungen begrenzen, benötigen mit konventioneller Technik noch den Platz von ganzen Fußballfeldern. Mit der neuen Technologie sind Anlagen möglich, die in eine Halle oder einen Container passen.“

 

Sicher werden Wechselspannungsnetze in Deutschland noch lange bestehen, aber es wird ein Nebeneinander von Gleich- und Wechselstrom geben. Um die unterschiedlichen Netze zu koppeln, ist Leistungselektronik unverzichtbar. „Ich glaube, unser Stromnetz wird für die Energieübertragung in etwa so werden, wie es das Internet für die Datenübertragung schon heute ist“, sagt Professor Lothar Frey. „Auch im Internet haben wir an jeder Schnittstelle Elektronik, genauso wird das künftig beim Strom laufen. Es wird viele elektronische Knoten geben, die große Trassen, lokale Subnetze, dezentrale Energiespeicher, die vielen neuen Energieerzeuger und natürlich die Verbraucher miteinander verbinden. Zusammen mit einer intelligenten Steuerung hat das auch eine stabilisierende Wirkung auf das Gesamtnetz“, ist Frey überzeugt.

 

Zur Energiewende tragen in Zukunft auch die Batterien von Elektroautos bei, indem sie als Zwischenspeicher dienen. Bis dahin aber stellen sich bei der Elektromobilität noch andere technische Fragen, die sich mit Hilfe der Leistungselektronik lösen lassen. Die Batterie speist ein zentrales Hochspannungsbordnetz mit typischerweise 400 Volt für den elektrischen Fahrantrieb. Gleichzeitig muss das elektrische Niederspannungsbordnetz für Beleuchtung, Klimaanlage, Servolenkung, Radio, Scheibenwischer und Ähnliches versorgt werden. Die meisten elektrischen Verbraucher benötigen dabei unterschiedliche Spannungen und Ströme. Die Schnittstellen dafür bilden elektronische Leistungswandler, die klein und sehr zuverlässig sein müssen. Sie dürfen andere elektronische Komponenten oder Fahrzeuge nicht beeinflussen; die gegenseitige Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) muss sichergestellt sein.

 

Um den EMV-Anforderungen gerecht zu werden, aus Platz- und Gewichtsgründen und um teure Leitungen zu sparen, platzieren die Forscher, die Leistungselektronik nicht zentral an einem Ort, sondern dort, wo sie ihrer Funktion nach hingehört: „Wirk-ortnahe Systemintegration“ nennt Martin März das Prinzip. Damit lassen sich bis zu zwei Drittel der Stecker und viele der teuren, schweren und daumendicken Hochspannungskabel einsparen. So sollte der elektronische Umrichter, der den Gleichstrom aus dem Bordnetz für den Motor in Drehstrom verwandelt, direkt am Motor angebracht oder gar in den Antrieb integriert sein wie etwa bei Radnabenmotoren. Der Leistungswandler, der aus der Bordnetzspannung die benötigte Niederspannung erzeugt, sitzt im Batteriebauraum, ebenso wie das Ladegerät, mit dem man das Auto an jeder Steckdose aufladen kann. „Für das Schnellladen haben wir eine innovative Lösung auf der Basis von Gleichspannung entwickelt, die ohne ein externes Schnellladegerät auskommt und dadurch besonders wirtschaftlich ist“, erklärt März.

 

Dass diese Ideen auch in der Praxis funktionieren, hat man am IISB bereits mit der Hybridisierung eines Audi TT demonstriert. Dafür wurden alle leistungselektronischen Systeme entlang des Energiewegs „vom Netzanschluss bis an die Räder“ neu entwickelt: Ladegerät, Batteriesystem plus Überwachung aller Funktionen, Spannungswandler und Antrieb. Die Wissenschaftler haben dafür Wandler gebaut, die extrem kompakt sind und dennoch keine eigene Kühlung erfordern.

 

Damit leistungselektronische Wandler immer kleiner und zuverlässiger werden, sind oft ganz neue Ansätze für Materialien, Bauelemente, Packaging, Systemdesign und Fertigung nötig. Das Fraunhofer IISB forscht entlang dieser gesamten Kette. So setzen die Wissenschaftler zunehmend auf Siliziumkarbid (SiC). Dieses Material ermöglicht besonders verlustarme und temperaturfeste Bauelemente. Um aus den SiC-Wafern Chips zu vereinzeln, hat das IISB die hoch produktive Methode des Thermischen Laserstrahlseparierens (TLS) entwickelt.

 

Neue Technologien gibt es auch für zuverlässigere Bond-, Löt- und Sinterverbindungen, ebenso wie für das Vergießen mit Kunststoffen, das oft nötig ist, um Spannungsüberschläge zu verhindern. Die fertigen Prototypen setzen die Forscher in ihren Demonstratoren ein. Dort werden sie auf Herz und Nieren geprüft, beansprucht und künstlich gealtert, um ihre Zuverlässigkeit zu testen. Die wichtigsten Kennzahlen bei der Leistungselektronik sind Effizienz und Leistungsdichte, hier hat das IISB verschiedene Benchmarks gesetzt. 2013 knackten die Forscher mit einem in SiC-Technologie aufgebauten Leistungswandler die Marke von 100 kW pro Liter Bauvolumen. 2014 erreichten sie mit einem Referenz-Design für einen DC/DC-Wandler mit Leistungsschaltern aus Galliumnitrid einen Wirkungsgrad von bis zu 99,3 Prozent.

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