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Redaktion: Heinz Schmitz


Herausforderung globale Handelsströme

Lieferung just in time, geringe Lagerbestände, immer kürzere Modellzyklen: Die moderne Wirtschaft stellt hohe Anforderungen an Hersteller und deren Lieferanten. Gleichzeitig werden die Käufer immer anspruchsvoller: Lange Wartezeiten wollen sie nicht in Kauf nehmen, außerdem soll das Gerät ihrer Wahl nicht allzu viel kosten. Das macht es erforderlich, dass produzierende Unternehmen und Lieferanten eng aufeinander abgestimmt arbeiten. Supply Chain Collaboration heißt das dazugehörige Fachwort.

 

Wie diese Zusammenarbeit möglichst reibungslos und gleichzeitig sicher ablaufen kann, daran arbeiten 18 Vertreter von Wissenschaft und Industrie aus insgesamt zehn europäischen Ländern in dem neuen EU-Forschungsprojekt PRACTICE. Mit im Boot ist Professor Richard Pibernik, Inhaber des Lehrstuhls für Logistik und quantitative Methoden in der Betriebswirtschaftslehre der Universität Würzburg. Gemeinsam mit seinem Doktoranden Julian Kurz und dem Masterstudenten Fabian Taigel wird er in den kommenden drei Jahren quantitative mathematische Modelle für solche Formen der Zusammenarbeit entwickeln.

 

„Die Supply Chain der Zukunft läuft in der Cloud ab“, sagt Richard Pibernik. Was das bedeutet? Unternehmen verwalten ihre Daten nicht mehr in eigenen Server-Parks. Stattdessen greifen sie auf die Angebote kommerzieller Anbieter zurück, die ihnen die benötigte Infrastruktur – die sogenannte Cloud – zur Verfügung stellen. Dort werden nicht nur Daten gespeichert, die von jedem Ort der Erde, der über einen Internetzugang verfügt, abgerufen werden können. Dort finden die Unternehmen ebenfalls die Software, mit der sie arbeiten – On-Demand-Software, speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten.

 

Die Arbeit in der Cloud geht aber noch einen Schritt weiter: Um ihre Produktionsprozesse möglichst exakt aufeinander abzustimmen, können Lieferanten und Produzenten dort auf die Daten ihres Partners zugreifen. Und damit beginnt das Problem: „Die Firmen wollen möglichst gut gemeinsam planen können. Gleichzeitig wollen sie dabei keine sensiblen Daten preisgeben“, sagt Pibernik. So hat zum Beispiel kein Lieferant Interesse daran, dass der von ihm belieferte Betrieb in der Cloud sehen kann, dass er gerade extrem hohe Lagerbestände hat. Das könnte den Hersteller ja dazu animieren, den Preis ein wenig zu drücken. Umgekehrt wollen Produzenten ungern einem Dritten Einblicke in ihre aktuelle Bestellsituation gewähren.

 

An dieser Stelle kommen die Würzburger Logistikspezialisten ins Spiel: „Unsere Aufgabe ist es, mathematische Modelle für Planungsverfahren zu entwickeln, mit denen die beteiligten Unternehmen Daten austauschen und gemeinsam planen können, ohne dass sie damit Wissen über interne Angelegenheiten an ihre Partner verraten“, sagt Pibernik. Vergleichen lasse sich diese Situation mit einem stark vereinfachten Beispiel: Wenn drei Menschen an einem Tisch sitzen und ausrechnen wollen, was sie gemeinsam verdienen – dies aber so, dass hinterher nur die Gesamtsumme bekannt ist, nicht der Verdienst jedes Einzelnen. Machbar sei dies mit mathematischen Verfahren, die von ihren Nutzern nicht zu entschlüsseln sind, so der Wirtschaftswissenschaftler.

 

Mit ihren mathematischen Modellen wollen die Wissenschaftler vor allem einen Effekt in den Griff bekommen, der unter dem Fachterminus Bull-Whip bekannt ist – auf Deutsch Peitscheneffekt. Er bezeichnet „im Supply-Chain- Management das Aufschaukeln von Bestellschwankung in vorgelagerte Richtung der Lieferkette“, wie es im Online-Lexikon Wikipedia heißt. Konkret bedeutet dies: Während im Supermarkt beispielsweise eine konstante Nachfrage nach Windeln herrscht, schwankt die Produktion beim Hersteller deutlich.

 

Und noch extremer fallen diese Schwankungen beim Produzenten des benötigten Zellstoffs aus. „Mangelnde Abstimmung“ unter den Partnern in der Supply Chain sind nach Piberniks Worten in erster Linie verantwortlich für diese Schwankungen. Durch eine bessere Abstimmung lässt sich seiner Meinung nach das Aufschaukeln deutlich reduzieren, wenn nicht gar ganz verhindern. Dies senkt Kosten, beispielsweise wenn dadurch Überbestände und unnötige Transporte vermieden werden, und erhöht die Verfügbarkeit der Produkte für den Kunden.

 

Das Forschungsprojekt PRACTICE läuft bis Ende 2016. Daran beteiligt sind unter anderem Universitäten aus Deutschland, Italien, England, Belgien, Dänemark und Israel sowie Unternehmen wie beispielsweise SAP, Arcelik und Intel. Neben den mathematischen Modellen ist die Entwicklung neuer Verschlüsselungstechniken ein weiteres wichtiges Vorhaben der beteiligten Experten. Sie sollen bei den Arbeiten in der Cloud ein Höchstmaß an Sicherheit und Schutz der privaten Daten gewähren.

 

 

Weitere Informationen unter:

http://www.practice-project.eu

http://www.uni-wuerzburg.de

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