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Redaktion: Heinz Schmitz


Mitdenkende Fördersysteme

Förderantrieb als Sensor
Matthias Nienhaus macht die Motoren im Inneren von Transportrollen zum Sensor, um Rollen-Förderstraßen neue Fähigkeiten zu geben. (Foto: Oliver Dietze)

Bei Versandhändlern, Paketdiensten, in Fabriken, auf Flughäfen – Fördersysteme sind vielerorts im Einsatz. Damit das Transportgut sein Ziel zuverlässiger und schneller erreicht, entwickeln Saarbrücker Ingenieure Förderrollen, die mitdenken und miteinander kommunizieren. Der Antriebstechniker Matthias Nienhaus von der Universität des Saarlandes macht mit Partnern die Motoren im Inneren jeder Transportrolle zum Sensor: Die Antriebe liefern im laufenden Betrieb Messdaten und ermöglichen es, die Rollen ganz nach Bedarf anzusteuern. Das Fördersystem soll so bei Störungen selbst neue Wege finden oder kundtun, wenn etwa noch Dosen in eine Kiste passen.

 

Ob Paletten voll Getränkekästen, das Paket mit dem bestellten Pulli, der Koffer auf Reisen oder die Dosensuppe bei ihrem Weg durch die Fabrik: Fördersysteme transportieren alle möglichen Dinge von A nach B. Sei es, um sie auf der Fertigungsstraße von einer Maschine zur nächsten zu befördern, sei es, um etwas zu befüllen, zu sortieren, zu verteilen oder schlicht, um es möglichst unversehrt an seinen Bestimmungsort zu bringen. Ein beachtlicher logistischer Aufwand, bei dem vieles ineinandergreift – und bei dem auch vieles schieflaufen kann. Funktionieren auch nur einzelne von Tausenden Förderrollen nicht, können ganze Produktionen lahmliegen oder Koffer im falschen Flieger landen. Außerdem sind die heutigen Systeme starr an ihre Wege gebunden und dadurch recht unflexibel.

 

An einer neuartigen Lösung für die vernetzte Produktion im Sinne von „Industrie 4.0“ arbeitet das Team von Professor Matthias Nienhaus an der Saar-Universität gemeinsam mit Partnern von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und aus Unternehmen. „Wir setzen an der einzelnen Transportrolle an: Wir integrieren darin jeweils einen eigenen Motor mit intelligenter Ansteuerung und entwickeln und testen Verfahren, wie wir Messdaten aus diesem Antrieb selbst gewinnen können“, erklärt Nienhaus. Der Antriebstechniker hat sich in seiner Forschung auf elektromagnetische Klein- und Mikroantriebe mit einer Leistung von 0,1 bis zu einigen hundert Watt und auf die Miniaturisierung von Systemen spezialisiert. Da das Verfahren keine weiteren Sensoren wie etwa Positionssensoren benötigt, ist es äußerst preisgünstig. Auch entfällt das Risiko, dass empfindliche Sensoren zu Schaden kommen oder aus sonstigen Gründen keine Messwerte mehr liefern.

 

Die Forscher der Saar-Uni greifen gezielt an bestimmten Punkten im Motor Messdaten ab, zum Beispiel solche, die aufzeigen, wie die Stärke des magnetischen Feldes verteilt ist: Fließt Strom durch die drei Spulen, um die sich die Permanentmagneten drehen, wird ein elektromagnetisches Feld erzeugt. Das Wissen darum, wie sich dieses magnetische Feld verändert, wenn der Motor sich dreht, gibt den Forschern genaue Einblicke in den Antrieb. Mit den Messwerten berechnen die Ingenieure die Lage des Rotors und ziehen die verschiedensten Rückschlüsse. „Indem wir diese Daten auswerten, lässt sich der Motor sehr effizient ansteuern“, erklärt Nienhaus.

 

Dreht sich eine der Rollen wegen Lagerverschleiß nicht mehr richtig oder setzt ein Kurzschluss eine der Spulen außer Gefecht, verrät dies der Motor sofort über sein verändertes magnetisches Verhalten. „Schon kleine Veränderungen lassen sich aus den Messdaten herauslesen“, sagt Nienhaus. Das System zeigt in einem frühen Stadium an, welche der Rollen betroffen ist. Welcher Motorzustand mit welchen Messwerten zusammenhängt, analysieren die Forscher in Berechnungen und Versuchsreihen und speichern die Ergebnisse im Gehirn des Systems, einem Microcontroller, in dem die Daten verarbeitet werden.

 

Über ein Netzbetriebssystem, das in jeder Rolle integriert ist, interagieren Tausende der Rollen im Verbund: Sie kommunizieren miteinander, können so flexibel auch auf Unvorhergesehenes reagieren. Anders als bei Fördersystemen, die zentral „von außen“ gesteuert werden, weiß jede Rolle selbst, wo es langgeht. Das macht es möglich, Transportstraßen neue Fähigkeiten zu geben. „Über Daten zum Drehmoment können etwa Rückschlüsse gezogen werden, wie schwer die beförderte Kiste ist und dass noch eine Packung reinpasst“, erklärt Nienhaus. „Wir wollen das Transportsystem außerdem so weiterentwickeln, dass es frei auf dem Boden beweglich ist“, sagt der Antriebstechniker, der mit seinem Team auch daran forscht, wie er die Messdaten noch aussagekräftiger machen und Störeffekte aus ihnen herausrechnen kann.

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