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Redaktion: Heinz Schmitz


Veselago-Linsen für Materiewellen

Unter Linsen versteht man gewöhnlich Gläser mit gewölbten Oberflächen, die die parallel einfallenden Lichtstrahlen auf einen Punkt fokussieren und dadurch eine optische Vergrößerung erlauben. Exotischer verhalten sich dagegen Linsen, die der sowjetische Wissenschaftler Victor Veselago erstmals in den 1960er Jahren theoretisch beschrieben hat. Voraussetzung für eine solche Veselago-Linse ist ein negativer Brechungsindex des Linsenmaterials. Diese physikalische Größe beschreibt, wie das Licht an der Grenze von Luft und Medium gebrochen wird. Bei herkömmlichen Linsen ist die Zahl positiv.

 

„Normalerweise ist die Auflösung von optischen Systemen durch die Wellenlänge des Lichts begrenzt“, sagt Prof. Dr. Martin Weitz vom Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn. Dinge, die kleiner als die jeweilige Wellenlänge sind, lassen sich mit dem verwendeten Licht nicht abbilden. Diese Grenze könnte mit Veselago-Linsen unterlaufen werden, hoffen Forscher weltweit. Das könnte zum Beispiel die Entwicklung von viel leistungsfähigeren Computerchips vorantreiben. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich mit Materialien mit negativem Brechungsindex sogar Dinge unsichtbar machen lassen. Wissenschaftler versuchten in den vergangenen Jahren, speziell strukturierte Materialien zu entwickeln, die einen negativen Brechungsindex aufweisen. „Für Licht gibt es inzwischen Ansätze, die dem von Veselago vorhergesagten Linseneffekt grundsätzlich zeigen“, berichtet der Physiker der Universität Bonn.

 

Mit seinem Forschungsteam hat Prof. Weitz nun als erster weltweit experimentell nachgewiesen, dass eine Veselago-Linse auch für Materiewellen möglich ist. Licht hat die Eigenschaft, dass es im freien Raum immer die gleiche Ausbreitungsgeschwindigkeit hat: annähernd 300.000 Kilometer pro Sekunde. In dem Experiment kühlten die Physiker der Universität Bonn Rubidium-Atome sehr stark ab und luden sie auf einer Art „Wellpappe“ aus Licht, einem sogenannten optischen Gitter. „Mit den Rubidium-Atomen im optischen Gitter können wir einen Bereich untersuchen, in dem die Atome genauso wie Licht überall die gleiche Ausbreitungsgeschwindigkeit haben“, sagt Martin Leder aus Prof. Weitz Team. Die beträgt hier nur rund einen Zentimeter pro Sekunde, ist also lediglich so schnell wie eine kriechende Schnecke. Nach einer anfänglichen Ausbreitung im optischen Gitter wurden die Atome mit einem optischen Lichtpuls in einen Bereich mit negativem Brechungsindex als Voraussetzung für eine Veselago-Linse gebracht.

 

Die Physiker der Universität Bonn konnten mit den Rubidium-Atomen den von Veselago theoretisch vorhergesagten Linseneffekt für eine Raumrichtung experimentell nachweisen. Der Traum von neuen Computerchips geht damit aber so schnell noch nicht in Erfüllung: Da die Wissenschaftler bei ihrem Versuchsaufbau mit Laserlicht arbeiteten, war von Anfang an klar, dass sie nicht die Auflösungsgrenze von einer Wellenlänge unterschreiten konnten.

Viel wichtiger ist den Physikern jedoch die Bedeutung der Resultate für die Grundlagenforschung. „Die Ergebnisse erlauben neue Einblicke in die Eigenschaften von ultrakalten Materiewellen“, sagt Prof. Weitz. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, feine Strukturen und fragile Quantenzustände mit optischen Gittern zu untersuchen.

 

Originalpublikation:

Veselago lensing with ultracold atoms in an optical lattice, Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms4327.

 

Siehe auch

http://www.uni-bonn.de/

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